Nach endlosen Regentagen war es soweit, dieser Freitag sollte es sein! Kein winziges Bisschen Niederschlag zu erwarten.
Reisefieber weckte mich am frühen Morgen, und schon kurz bevor die Kinder zur Schule aufbrachen, war ich unterwegs.
Manche Dinge wollen erkämpft werden. Die Alpen sind zwar weithin sichtbar, aber die Anfahrt gerät oft zur Geduldsprobe: das Rheintal, das zwar über die Autobahn schnell überwunden ist, fühlt sich elend lang an. Das winzig kleine Land Liechtenstein, ganze 20 km sind es, jedoch mindestens eine halbe Stunde Stadtverkehr. Dann weiter am Rhein entlang über Landquart Richtung Chur: eine weitere halbe Stunde. Dorf um Dorf muss durchquert werden, Busse, Traktoren, LKW – alles was Bremsen hat...
Ein wahrer Lichtblick ein Terassencafe in Landquart, wo die Sonne schien – es war vollbesetzt um halb neun morgens: die Handwerker der Stadt machten ihre Frühstückspause (Znüni genannt – nicht zu verwechseln mit dem „Zvieri“). So konnte ich mich wieder aufwärmen, nachdem in Liechtenstein nämlich die Sonne noch nicht aufgegangen war (liegt halt arg hinterm Berg...).
In Chur dann der ganz normale Stadtverkehrswahnsinn – selbst um 10 Uhr morgens. Aber ab da sollte dann alles anders werden! Nach kurzer Zeit ist der Abzweig nach Bonaduz erreicht, der sich recht unübersichtlich darstellt, so dass ich einen Schlenker durch Reichenau fuhr, welches aber sehr sehenswert ist.
Von Bonaduz geht es die „Gassa“ direkt oberhalb der Rheinschlucht entlang. Die Straße selbst ...
… ist recht abenteuerlich und...
… bietet zudem einen perfekten Blick in die Schlucht.
In Versam gibt es einen Abzweig zum Bahnhof der Rhätischen Bahn, den man nicht verpassen sollte! Drei volle Kilometer liegt der Bahnhof vom Ort entfernt und nicht nur dies – es sind auch drei sehr steile Kilometer, denn die Bahn führt (als einziges Verkehrsmittel) direkt am Fluss entlang, während die Dörfer einige hundert Meter oberhalb liegen... Man stelle sich das vor zu einer Zeit als diese Bahn gebaut wurde, die Reisenden jedoch allesamt zu Fuß zum Bahnhof gingen! Heute erledigt das der Postbus, der mir natürlich prompt in einer Kurve begegnete.
Unten angekommen kann man die Bahngleise überqueren und kommt in einen kleinen Auenwald, der nach wenigen Metern den Zugang zum Rhein ermöglicht:
Die Atmosphäre ist herrlich. Nichts ist zu hören außer dem nicht eben zurückhaltenden Rauschen des Rheines. Einige Vögel und Grillen auch, o.k. Ganz ab und zu ein Zug der Rhätischen Bahn, auch nicht zurückhaltend, aber auch nicht störend. Die Züge sind nicht etwa antiquiert, im Gegenteil, überwiegend sehr moderne Waggons (siehe Glacier-Express), aber auf der Meterspur doch sehr langsam unterwegs und auf den Brücken donnern sie regelrecht.
Ein paar Meter weiter auf einem Wanderweg am Ufer entlang gibt es noch einige andere Ausblicke:
Ein paar hundert Meter oberhalb gibt es eine Aussichtsplattform, die ebenfalls schöne Ansichten ermöglicht:
In einer Rheinschleife liegt ein Grundstück, zu dem kein Weg und keine Straße führt:
Wahnsinn! Der einzig mögliche Zugang ist über den Steilhang oberhalb. Wie haben die das Haus da hingekriegt???
Noch zwei schöne Ansichten:
Das sind übrigens nicht etwa zusammenhängende Felswände, wie man meinen sollte, sondern Bruchstücke, die während des Flimser Felssturzes den Rhein aufstauten und dann allmählich von ihm wieder durchschnitten wurde. Zusammengefügt werden sie von feinem Kalksediment, so dass sie wie ein zusammenhängender Fels erscheinen. Die ganze Geschichte soll ca. 9500 Jahre her sein.
Ein paar Dutzend wunderschöne Kilometer über die Kantonsstraße entlang der Rheinschlucht über Valendas, Ilanz und Obersaxen kommt man zurück auf die Hauptstraße 19 nach Disentis, von wo aus der Lukmanierpass angesteuert wird. Falls man von dort Richtung Chur fährt, sollte man 4 km hinter Truns die kleine Abzweigung nach Obersaxen nicht verpassen. Von hier bis Bonaduz hat man dann eine herrliche Panoramastraße direkt an der Rheinschlucht entlang, die abwechslungsreich ist und überdies kaum Verkehr aufweist. (In Ilanz nicht wieder auf die Hauptstraße zurück, sondern durch den Ort fädeln Richtung Castrisch, Valendas, Versam!)
Der Lukmanier erweist sich als recht bequem und zügig zu befahrende Straße ohne allzu anspruchsvolle Passagen – was auch mal wieder ganz angenehm ist, nachdem ja seid Feldkirch kein Tempo mehr zu machen war... Oben befindet sich ein Stausee, dessen Staumauer zu einem kleinen Spaziergang einlädt.
Die Fahrt hinunter vermittelt sofort ein mediterranes Gefühl – der Alpenhauptkamm liegt hinter mir. Es ändern sich die Bauformen ebenso wie die Flora und alles läuft auf Italienisch. In Biasca halte ich mich nicht auf sondern biege gleich nach rechts Richtung Gotthard ab. Es geht nun durch die Leventina (ein Tal, das aufgrund seiner wichtigen verkehrstechnischen Lage lange umkämpft war zwischen den Urnern und dem Herzogtum Mailand) wieder bergauf, wobei hier der Verkehr eine ganz andere Rolle spielt: die Gotthardbahn, die Autobahn und die Hauptstraße führen durch das eher enge Tal und lassen die mediterranen Gefühle in den Hintergrund treten.
Glücklicherweise ist Airolo schnell erreicht und auch durchquert, so dass ich, kaum dass ich auf der Via Tremola angekommen bin, erstmal eine Pause einlege – mit Blick auf Airolo und die Leventina. Dort ergibt sich noch ein nettes Schwätzchen mit einem Schweizer Motorradfahrer, der ebenfalls in der Rheinschlucht war – aber am Hinterrhein über die Via Mala. Hat mich schon wieder neugierig gemacht! Muss ich wohl dann auch mal hin...
Die Via Tremola ist super. Kopfsteinpflaster, schmal und holprig aber schöööön....
Je höher die Maschine steigen musste desto unwilliger wurde sie. Stotternd, stinkend und jegliche Gasannahme verweigernd mühten wir uns mehr oder weniger im ON/OFF-Betrieb bis zur Passhöhe. Offenbar ist ein erheblicher Luftmangel der Grund. Wenn dies schon auf weit unter 2000 m anfängt und bei 2050 ernste Probleme bereitet, wie soll ich dann in zwei Wochen das Stilfser Joch und den Gavia-Pass Richtung Caldonazzo bezwingen?!? Gut, dass ich diese kleine Tour vorab gemacht habe, jetzt habe ich gerade noch genug Zeit, mich um das Problem zu kümmern. (jaaa ich weiss – „Rimfire“ heisst das Zauberwort...)
Deshalb ließ ich den Motor vorsichtshalber auch laufen, als ich dieses Foto machte (was den vorbeifahrenden Radler ein wenig missmutig schauen liess). Die Karre stank aber auch echt wie ein Zweitakter...
Kurz darauf war das Tremola-Vergnügen zuende, die letzten zwei Kilometer waren baustellenbedingt gesperrt.
Am rechten Bildrand erkennt man gerade noch die Galerie der modernen Hauptstraße, die ich nun hinunter nach Andermatt nahm. Auch wieder angenehm: Tempo 80 war hier keine Hexerei.
Soll übrigens niemand behaupten, es hätte kein Schnee auf der Straße gelegen!
Die Abfahrt nach Andermatt ging zügig, trotz der zahlreichen Baustellen. Die Baustellenampeln haben freilich den Vorteil, dass man sich mit dem Zweirad ganz gut nach vorn mogeln kann und dann bei Grün erstmal ziemlich freie Bahn hat.
Ganz zum Schluss hatte ich noch Lust, von Andermatt aus einen kleinen Abstecher zum Oberalppass zu machen, und die Rheinquelle aufzusuchen:
Das kleine Flüsschen kommt derart lebendig den Berg hinuntergehüpft als wollte es sagen: „Pass auf, ich zeig Dir was...“
Und zu Guter Letzt noch ein Selfie am Oberalppass:
Liebe Grüße – Euer Heiner!